Cornelia Schleime
 

Interview mit der Künstlerin / Christiane Bühling

»Ich wollte meinen eigenen Papst malen ...«

im Gespräch mit Christiane Bühling

Erst die Nonnen, nun der Papst. Warum? Viele Betrachter werden dies spontan und zunächst irritiert
fragen. Ist die Künstlerin auf Sinnsuche oder hat sie ein Opfer für ihre ironische Haltung gefunden?


Die Nonnen und der Papst, soweit ist das für mich nicht entfernt, es hat viel mit meiner Erzie-
hung zu tun. Künstlerisch war dabei meine Herangehensweise aber ganz unterschiedlich. Bei
den Nonnen folgte ich dem Prinzip der Montage, indem ich extrem sinnliche und erotische
Gesichter mit der Nonnentracht konfrontierte. Ihre Sinnlichkeit steigerte sich durch die abstrak-
te Zeichnung des Ornats und deren klar abgegrenzte Flächen. Das Sinnliche lag im Gesicht, hin-
gegen war das Ornat wie ein Panzer. Man sagte mir, so würden keine Nonnen aussehen. Aber
ich sehe sie so: sie leben für den Augenblick der versprochenen göttlichen Vereinigung, ist dies
nicht auch eine Form von Erotik? Unser Bild von ihnen ist von weltlicher Distanz geprägt. Die-
ses Bild wollte ich verrücken.
Der Papst ist immer eine Figur der Zeitgeschichte, eine Ikone. Diese hat bei Johannes Paul II.
durch die Parkinsonsche Krankheit eine Irritation erfahren und ist dadurch verletzbarer gewor-
den. Den Nonnen hatte ich ein fiktives Gesicht gegeben. Beim Papst wollte ich sein biografi-
sches Gesicht entdecken. Ich suchte den Wojtyla hinter der Ordenstracht, um ihn aus seiner Ver-
puppung zu holen und folgte beim Malen hier mehr einem Weg, als einer Idee. Sein Gesicht als
eine Landschaft zu lesen, in der sich die Zeit gespeichert hat, war für mich wichtig. Eine Ikone
ist ein Ornament, was die psychologische Disposition in sich aufgesogen hat, so daß sie nicht
mehr kenntlich ist. Ironie ist für mich kein Mittel zum Zweck, sie entsteht eher unbeabsichtigt,
indem ich mit meinem Material frei umgehe, so wie bei den Zeichnungen, wo ich mich von der
Schwere des Themas wieder entlasse. Ich hatte mir auch nicht die Heroen der Papstmaler ins
Gedächtnis gerufen, denn ich wollte meinen eigenen Papst malen.

Es war also eher die Persönlichkeit Wojtylas, die Dich fasziniert hat und nicht die Auseinanderset-
zung mit der obersten Instanz der katholischen Kirche?


Ich kam vom Papst auf Wojtyla und von dem wiederum auf den Papst. Klerus und Papst sind
nicht zu trennen, so wie dieser Papst nicht von Wojtyla zu trennen ist. Er hat sich in seinem Pon-
tifikat der Restauration verschrieben, die sowohl aus seinem Konservativismus, als auch aus sei-
nen persönlichen Erfahrungen begründet ist. Es ist schon erstaunlich, wie er als erster Papst, sei-
ne Verlautbarungen nicht im Plural, sondern in der Ich-Form formuliert, um die Institution
vielleicht noch nachdrücklicher auf sich zu zentrieren und so die Gläubigen auf die fundamen-
tale Idee des Christentums einzuschwören. Ich bin mit dem Katholizismus groß geworden, habe
ihn aber verlassen. Der Papst ist in meiner Kindheit für mich der Mann gewesen, der mit Gott
telefoniert. Manchmal habe ich nicht einmal mitbekommen, wenn es wieder einen neuen gab.
Der Papst war eben der Papst. Sie kamen und gingen und waren für mich nicht greifbar. Jetzt,
da ich über Wojtyla arbeite, ist der Papst ein Teil meiner Selbstbezogenheit geworden, und damit
gehört er mir.
Der gläubige polnische Katholik in einem kommunistischen System. Spürst Du Parallelen in Eurer
Biografie? Du durftest Deine künstlerischen Visionen in der DDR nicht öffentlich bekennen.
Meine ersten Bildvorstellungen entstanden in der Kirche, angeregt durch die Biblische
Geschichte. An Dramatik ist sie kaum zu übertreffen. Die Diktatur hat aber ihre eigenen
bescheidenen von Propaganda geprägten Bildvorstellungen. Als ich einmal eine Frau mit hän-
gendem Kopf zeichnete, sagte man, so sieht keine Frau im Sozialismus aus und riss das Blatt von
der Wand. So wie ich meinen eigenen Bildern folgte, folgte Wojtyla den Prinzipien seines Glau-
bens. Die Diktatur wollte beides nivellieren. Wojtyla lebte im von den Deutschen besetzten und
später kommunistischen Polen in der Illegalität, als Steinbrucharbeiter, Poet, Theaterkünstler,
Literaturprofessor, wie auch während seiner priesterlichen Ausbildung beim Erzbischoff von
Krakau Sapieha, die nachts in Kellergewölben stattfand. Tagsüber arbeitete er zu dieser Zeit als
Friedhofswächter. Auch viele Künstler im Osten arbeiteten im Schutzraum der Friedhöfe, wenn
sie ihre Autonomie bewahren wollten. Bei mir waren es Pferdestall, Aktmodell, Gebäuderestau-
ration und Ausstellungsaufsicht. Nachts begann für mich die eigentliche Arbeit.

Du bist ja eine aufmerksame Beobachterin unseres Zeitgeschehens, d.h. sowohl der politischen Welt-
konflikte als auch der innergesellschaftlichen Spannungen. Verbirgt sich hinter der künstlerischen Aus-
einandersetzung mit dem Papst nicht auch die Frage nach bleibenden Werten, nach verbindlichen
moralischen Kategorien und Regeln für unsere Weltordnung?


Solange der Mensch die Ordnung nicht in sich selbst findet, wird es auch keine bessere Welt-
ordnung geben. Viele suchen sie nicht einmal mehr - »Fliehe vor dir selbst, dass du nicht weißt,
wer du bist. Niemand wird dich aufhalten können. Da dir niemand begegnet ist. Und so schrei-
test Du fort, immerfort und fort.« - schrieb ich in einem meiner frühen Gedichte.

»Das Paradies kann warten«, dieser Titel soll sicher u.a. die der Realität zugewandte weltliche Seite
des Papstes, die aber immer die himmlische Erlösung vor Augen hat, charakterisieren. Lässt sich dies
vielleicht auf Dein künstlerisches Credo übertragend Du beschäftigst Dich malerisch mit den Men-
schen, ihren Freuden und Ängsten des Hier und Jetzt und trotzdem tragen sie die Spuren einer ande-
ren Welt.


Der Titel bezog sich auf seine unglaubliche Zähigkeit. Er hat eine Aufgabe übernommen und
bewältigt sie trotz schwerer Krankheit. Er ist bei allem Konservativismus ein sehr weltlicher
Papst, ich denke sogar er ist deshalb so konservativ, weil er so weltlich ist. Das bedeutet, daß sich
seine Haltung nicht nur aus der christlichen Lehre erklärt, sondern biografisch folgerichtiger
Widerstand gegen die ausufernden Liberalisierungs- und Auflösungstendenzen unserer Zeit ist.
Vielleicht sogar einer apokalyptischen Vorahnung folgt, die angesichts des beginnenden Kamp-
fes der Kulturen um die globalen Ressourcen und der mit der Schöpfung experimentierenden
Gentechnologie die Welt aus der wir stammen, untergehen sieht. Er nimmt sich der weltpoliti-
schen Probleme an, hat als erster Papst diplomatische Beziehungen zu Israel aufgenommen und
Synagogen besucht, und bemüht sich um den Dialog der Religionen. Er kämpft für die Abschaf-
fung der Todesstrafe und ist gegen Abtreibung so sehr wie gegen die Euthanasie.
Er sprach sich in aller Deutlichkeit gegen Präventivkriege aus und kritisierte die welteinteilende
»Gut+Böse«-Polemik des derzeit amtierenden amerikanischen Präsidenten.
Dieser Papst hat es nicht eilig, das Paradies zu erreichen, so wie das Paradies es nicht eilig hat,
das wir es finden.
Er ist die Nr. 261. 260 Päpste gab es vor ihm — keiner wirkte aus dem Jenseits, und so klammert
er sich an seinen Hirtenstab.

Eine kritische Hommage an den Stellvertreter Gottes, Bewunderung für seinen Balanceakt zwischen
Realität und Transzendenz zwischen Tradition und Innovation. Ironische Distanz zu den Ritualen
der katholischen Kirche, aber Faszination im Hinblick auf die Beständigkeit ihrer Werte. Bist Du
mit dieser Interpretation einverstanden?


Die Rituale der Katholischen Kirche haben mich immer fasziniert, aber ich fühlte mich ihnen
nie gewachsen. Ich litt unter ihnen. Die Gemütszustände von Demut und Extase blieben mir
fremd, da sie auf Kommando geschehen sollten. Die Töne, die sich beim Singen hochschraub-
ten, als wollten sie das Dach der Kirche abdecken, waren nicht für meine Stimmlage gemacht.
Nur die Reinigung nach der Beichte empfand ich als wohltuend. Danach konnte ich wieder neu-
en Unsinn machen.
Dennoch möchte ich diese Erfahrung nicht missen. Ich denke schon, Mystik und Spiritualität
können von der zu Ende gehenden Moderne nicht ersetzt werden. Der Papst mit seinen Insze-
nierungen ist der berühmteste Popkünstler. Er ist der populärste Kritiker gegenüber den Aus-
wüchsen der Moderne, bedient sich aber ihrer Mittel, um sie noch wirkungsvoller in die Schran-
ken zu weisen. Die Vertreterstimme Gottes erschallt mit neuestem HighTech-KnowHow der
Medienwelt, um bei der Weihnachtsansprache 2002 die düstere Botschaft zu verkünden: »Gott
hat sich vom Menschen abgewandt«! Ein folgenschwerer Satz gegen Ende seines Pontifikats?
Eine letzte Warnung an die Welt?
Dieser Papst wird unterschätzt. Wir können ihn nicht am Zeitgeist messen wollen — er vergeht.
Der Papst ist einer anderen Zeitrechnung verpflichtet.
Das Interview wurde zuerst veröffentlicht in: Cornelia Schleime, Das Paradies kann warten,
Hrsg. Galerie Michael Schultz, Berlin 2003
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